Bescheuert war noch milde ausgedrückt. Die liess sich lieber von der Putze aus der Duschtasse kratzen als sich zu verteidigen? Weil sie nur dann wusste, ob der jenige sie wirklich umbringen wollte oder nicht vielleicht von allein wieder ging?
Die lebte wirklich in ner anderen Welt, kein Wunder, dass Typen wie Stryker sie benutzten.
Es gehörte wirklich nicht viel dazu, dass Logan sich aufregte. Wenn er solche Vorstellungen hörte, war es fast ein Wunder, dass er nicht vor Wut unter der Decke klebte. Denn erst stellten sie so einen Scheiß an und dann kamen sie und brauchten Hilfe. Was für ne Überraschung. Eigentlich wäre das ein Grund zu gehen, er hatte eh nichts für die Damsel in Distress Nummer übrig. Auch nicht wenn sie aussah wie Kayla Silverfox. Die Sorte konnte nur aus Erfahrung lernen, was anderes würde eh nicht helfen.
Gerade als er kurzzeitig den Gläserplan verwerfen wollte und mitsamt dem Fläschchen zusehen, dass er verschwand, bevor irgendein Malheur passierte, begann sie von ihrer Schwester zu erzählen und stand auch noch auf um ihm ein Glas zu geben.
Sie taute beim Reden sichtlich auf, offenbar erleichtert, dass er ihr zuhörte. Klar, wenn sie ihn suchen wollte, um ihm das zu erzählen, dann war ihr halbes Ziel schon erreicht. Aber um welchen Preis?
Er nahm das Glas entgegen und murmelte Mache ich auch, das Glas ist nicht für mich, während er das halbe Fläschen ins Glas schüttete und ihr selbiges umgehend wieder in die Hand drückte.

Versuchsobjekt? Es war ne rein rhetorische Rückfrage. Die richtige Frage, kam danach: Was zum Teufel für Versuche?

Logan achtete nicht drauf, ob sie trank oder nicht. Er sah sie auch nicht an während sie weitersprach, sondern er drehte das Fläschchen zwischen zwei Fingern und starrte auf die von rechts nach links schwappende Flüssigkeit, bevor er es an die Lippen setzte und in einem Zug leerte. In seinem Hals brannte nichts außer der Bedarf nach mehr.
Viel mehr, damit er wenigstens den Ansatz einer Wirkung spüren würde. Was für ne Wirkung? Entspannung.

Logan hatte in seinem ganzen Leben noch nie von Gentechnologie gehört. Kein Wunder, wenn man bedenkt dass die ersten größeren Durchbrüche in diesem Bereich noch zwei Jahre in der Zukunft lagen. Doch Militärwissenschaft war herkömmlicher Forschung oft ein Stück voraus, das war ihm schon bewusst. Somit zog er Kaylas Worte nicht in Zweifel.

Hast du nen Anhaltspunkt, wo Strykers Labor ist?
Oder warst du mal da?

Zielsicher warf er das Fläschchen in den Papierkorb und sah Kayla wieder direkt ins Gesicht.
Bisschen mehr Backstory würde sie ihm schon liefern müssen, wenn sie wollte, dass er Kopf und Kragen für sie und ihre Schwester riskierte. Er rechnete eher mit einer Art Hochsicherheitsgefängnis als mit einem klassischen Labor. Noch dazu war anzunehmen, dass etwas, das geeignet war, Mutanten drinnen zu halten auch geeignet sein würde, anderen den Zutritt zu verwehren.
Angenommen er würde sich wirklich drauf einlassen, mal dahingestellt, ob für Kayla oder letztlich aus Sorge um seinen eigenen Bruder ... dann war eines klar: Das Risiko war hoch und danach wäre so ziemlich jeder, dessen Name auf Logans Agenda stand, vorgewarnt.
Und noch etwas ... Die beiden Ladies würden kaum in Sicherheit sein. Sie würden nen Platz zum Untertauchen brauchen. Kayla am besten hier uns jetzt ...

Feucht, Kanalisation ... Hochsicherheitstrakt. Natürlich. Aber ... Alkali-Lake ... nie gehört ... Kanada war groß.
Moment! Stryker hatte sein verdammtes Labor in Kanada? Das hieß ja wohl, dass die Zusammenarbeit der Geheimdienste nicht nur auf Vietnam beschränkt war. Wenn Stryker in Kanada forschte, dann war Clarke der Schlüssel. Damit schloss sich der Kreis.
Logan bis die Zähne aufeinander. Das Komplott war offenbar sehr viel größer als er angenommen hatte. Es ging auch offensichtlich nicht nur gegen ihn. Es ging gegen jeden verdammten einzelnen Mutanten nördlich des Äquators.
Er musste zurück, er musste diese Schule warnen und er würde Kayla Silverfox am besten direkt dort lassen, das war vermutlich das sicherste für sie.

Trotzdem konnte er sich eines nicht vekneifen:

Warum glaubst du, dass ich dir helfe?

Er war sich auch wirklich nicht sicher, was er als Antwort erwartete. Eine Frau, die sich nicht mal verteidigte, wenn man sie angriff, schickte einen Söldner auf eine Mission, die zig Männer und vielleicht Frauen das Leben kosten würde?
Um eine einzelne zu retten?

Er öffnete sehr beiläufig erneut das Barschränkchen. Leider enthielt es nichts mehr außer quietschsüßen Limonaden.
Hm, brummte er und sah wieder zu Kayla. Warum, huh?

Psychologie war nicht Wolverines stärkste Seite. Vielleicht hatte er eine komische Frage gestellt? Vielleicht war sein Gesichtsausdruck beim Fragen so gewesen, dass ihre Angst ehrlich zu antworten zu groß war. Vielleicht, vielleicht, vielleicht ... er konnte sich ihr Verhalten jedenfalls nicht erklären. Das war doch von seiner Seite her, bereits ein dreiviertel Ja gewesen. Was zum Teufel erwartete sie?

Eines war klar. Sie hatte es nie und nimmer so verdammt eilig, weil sie ihm die Limonaden ersparen wollte. Aus irgendeinem Grund ertrug sie seine Gesellschaft nicht oder wollte nicht, dass er etwas sah, was sie lieber verbergen wollte. Ging sie raus, um zu heulen? Möglich.
Nein. Nicht möglich. Sie war in 'Nam gewesen. Keiner der von da lebend wegkam, heulte wenn er sein Ziel erreicht hatte. Sie war zwar eine Frau, aber das war trotzdem Bullshit.

Er sah ihr nach, den Schlüssel ließ sie stecken. Hm.

Das Pling des Aufzugs, konnte er bis zum Zimmer hin hören. Auch wie sie darin verschwand.
Immer noch unschlüssig, nahm er den Schlüssel und trat auf den Gang hinaus, wo er ihren Geruch stärker wahrnahm als eben zuvor im Zimmer. Schweiß. Das hieß, dass sie sich draußen alles andere als abgeregt hatte.

Es war ne Falle.

Wie hatte er so blöd sein können? Mit drei Sätzen war er im Treppenhaus. Wenn er oben nicht zuviel Zeit verloren hätte, hätte er sie unten direkt an der Aufzugtür erwischen können. So würde es wohl knapp werden, aber weit konnte sie noch nicht sein, dachte er während er die Treppe hinunterjagte. Das würde ihr jetzt definitiv mehr weh tun als ihm.

Logan hatte die Tür vom Treppenhaus zur Lobby aufgerissen und blickte von dort direkt auf die fünf Münzfernsprecher neben der Rezeption.
Für Außenstehende hatte die Szene vermutlich etwas fast schon komisches. Da war eine Frau mit nassen Haaren, die einen Bademantel über einer Hose trug und ein klatschnasser Mann in Armykleidung kam aus dem Treppenhaus. Die beiden starrten sich einen Moment an als sei die Zeit stehengeblieben und rannten nahezu simultan los.
Tatsächlich lachte ein Mädchen ein glockenhelles Lachen, das wie ein absurder Soundtrack in Logans Unterbewusstsein drang.

Er hätte nicht rennen müssen, um Kayla zu erwischen, noch bevor sie die Drehtür erreichen konnte. Es war ein reiner Reflex.
Wer war das? War das Stryker? Brüllte er sie an und bekam sie im selben Moment an den Schultern zu fassen.

Spätestens jetzt starrte jeder in der Lobby auf das ungleiche Paar. Doch niemand bewegte sich oder sagte irgendetwas. Auch das Mädchen hatte aufgehört zu lachen und sah die beiden nun aus großen blauen Kinderaugen an, bevor es seine Mama an Ärmel zupfte und sich nahe an sie herandrängte.

Mit einem Ruck, drehte Logan Kayla zu sich herum und brüllte weiter. Seh' mir in die Scheißaugen und sage, dass du da oben gelogen hast!
Die nächsten Worte kamen von so tief innen, dass er kaum, dass sie ausgesprochen waren, begriff dass er soeben auf die Wahrheit gestoßen war: Oder haben die dir so ins Gehirn geschissen, dass du mich verrätst, bevor ich dir helfen kann?

Er hielt sie noch immer fest, starrte sie nun aber wieder an und schüttelte verächtlich den Kopf.

Logan zog die Stirn in Falten.
Ja, wie hätte sie glauben sollen, dass er helfen würde? Offenbar stand doch nicht 'naiver Idiot' auf seiner Stirn. Ein bisschen hatte er soetwas ja befürchtet. Viel schlimmer war, dass Stryker als zweifelloser Urheber des Plans, sehr genau gewusst haben muste, dass er sich auf Kaylas Geschichte einlassen würde. Was war der Hauptplan und was war der Notplan?
Sicher, ich dreh dir am besten hier und jetzt den Hals um. Der erste Satz war leise gesprochen, der darauffolgende wieder sehr viel lauter: Du kommst mit.

Ohne weiter zu zögern, ließ er ihre Schultern los und nahm statt dessen ihre Hand mit seiner Linken.
Mit rechts stieß er die Krallen durch das Glas der Drehtür. Einfacher das Hindernis einzuschlagen, als hindurchzugehen. Für den Typen mit dem unverwüstlichen Selbstheilungsfaktor, jedenfalls. Für die barfüßige Lady, sah es anders aus, was Logan zu ihrem Glück noch auffiel, bevor er sie durch die Scherben zerren konnte.
Genug Zeit für ein Augenrollen, war noch da und auch dafür, sie mit einer erschreckend geübten Bewegung, über seine Schulter zu werfen.
So würden sie ohnehin schneller sein.
Draußen hatte er im übrigen das Motorrad abgestellt, mit dem er gekommen war.Wenn der rechtmäßige Eigentümer es nicht aus irgendeinem blöden Zufal heraus dort entdeckt hatte, würde es noch auf sie warten.

Hast du ne Ahnung, wieviele da kommen?

Und warum? Was wollten die von ihm? Warum dieser Aufwand? Das war die Frage, die ihm von allen am meisten auf der Zunge brannte. Trotzdem sprach er sie nicht aus.

Er ließ sie erst runter als sie das Motorrad erreicht hatten. Bis dahin ignorierte er ihren Protest genauso wie ihre Gegenwehr.
Kenn' ich die? Ist mein Bruder dabei? Fragte er, während er aufstieg und die Maschine startete. Als der Motor losknatterte, sah er Kayla ins Gesicht.

Na los, steig auf, brummte er. Kannst mir die komplette Geschichte erzählen, wenn wir aus der Gefahrenzone raus sind.

Warum war er überhaupt so sicher, dass es besser war zu fliehen, statt einfach hier zu warten. Er war noch immer mit allen fertig geworden, die ihn angegriffen hatten. Warum sollte diesmal etwas anders sein?
Weil es diesmal welche von deiner eigenen Art sind? Weil Stryker dich bisher in jedem Punkt genau richtig eingeschätzt hat und du ihn in keinem einzigen?Weil Lehnsherr recht hat und sich etwas zusammenbraut, dass weit über den Krieg in Vietnam hinausgeht? Ein Krieg vor der verdammten eigenen Tür!

Es gibt nen sicheren Ort, an den ich dich bringen kann. Ich sag' dir nicht, wo's ist, aus offensichtlichen Gründen. Aber die Leute da sind gute ... Mutanten, die werden dich besser verstehen als ich und wissen was richtig und was falsch ist.

Ich gehe derweil natürlich das Falsche machen.

Die wollen's nicht anders. Kommentierte er mehr seinen Gedanken, als die ausgesprochenen Sätze davor.

Logan sah sich mit gespielter Aufmerksamkeit um, bevor er Kayla mit eindringlichem Blick und warnendem Tonfall vor eine unmissverständliche Wahl stellte.
Warum fiel es ihm schwer, das so zu sagen?
Mein voller Ernst. Stryker ist nich' hier. Bist für das, was du tust, selbst verantwortlich. Entweder du steigst auf und hilfst mir, dir zu helfen oder du bist für mich exakt das, wozu du dich machst: Seine Marionette.
Deine Entscheidung, Lady.

Wolverine war sich sicher, dass er es mit allen, die da möglicherweise kommen würden, aufnehmen konnte. Victor wäre ein Problem gewesen, nicht weil er stärker war, sondern weil Logan nicht gegen ihn kämpfen wollte. Er hatte es in Nam nicht gewollt, er wollte es jetzt nicht. Er kannte den Bruder gut genug, um zu wissen, dass dieser es genauso sehen würde und er schätzte Stryker so ein, dass er kaum riskieren wollte, dass Sabretooth sich möglicherweise doch noch auf Logans Seite und somit gegen Team X stellte. Was für ein bescheuerter Name war das eigentlich? Team X ...

In der Ferne heulte eine Polizeisirene auf, die Logan das Gesicht zur Grimasse verziehen ließ.
Sollten sie doch kommen. Sollten sie alle kommen. Er war vorbereitet. Er würde ihnen geben, was ihnen zustand. Seine Fäuste spannten sich um die Griffe der Lenkstange. Über den Knöcheln, zeichneten sich dabei deutlich die Spitzen seiner Klauen ab.
Das einzige, was noch fehlte, war Kaylas Antwort.